Schleifmaschinen, Schuhleisten, Werkzeuge, alles wohlsortiert, stets griffbereit. Bei einem Besuch der Fertigungsbereiche der Maßarbeit für Orthopädie der Hessing Stiftung bietet sich auf den ersten Blick das gewohnte Bild einer Schuhmacher-Werkstatt. Doch sind viele Arbeitsplätze mit Computern ausgestattet, wie ein zweiter Blick verrät. Die Personen entsprechen auch nicht Schuhmacher-Stereotypen. Es sind vielmehr oft weiß gekleidete junge Menschen.
Im Kern ist die Maßarbeit im Bereich der Orthopädie nach wie vor ein Handwerk. Das geschickte Messen, Abwägen und Bearbeiten der Materialien wird allerdings zunehmend von der Digitalisierung durchdrungen. Die damit verbundenen Veränderungen verlangen allen Beschäftigten des 80-köpfigen Teams einiges ab. Zwischenzeitlich wurde sogar eine Mitarbeiterin eingestellt, die sich speziell um die Digitalisierung in der Orthopädietechnik kümmert.
Digitale Technik und Mensch zusammendenken
Im Bereich der Prothetik und Orthetik ist der Wandel in Richtung Digitalisierung besonders deutlich spürbar. Heute kann viel mit Scans statt Gips gearbeitet werden, was insbesondere von Kindern als eine große Erleichterung empfunden wird. Statt wie früher eingipsen und die feste Form umständlich vom Körper schneiden zu müssen, reichen damit, bei der Fertigung von Chêneau-Korsetten für Skoliose-Erkrankte zum Beispiel, die Befestigung von ein paar Sonden und eine Vermessung im 3D-Scanner.
Aktuell wird in den Werkstätten eine Apparatur entwickelt, die den 3D-Scan sogar für dynamische Anwendungsfälle nutzbar macht. Bisher mussten Korrekturspielräume oft manuell ausgelotet werden, indem Gliedmaßen im eingegipsten Zustand von den Technikerinnen und Technikern in die richtige Position gedrückt wurden. Die Apparatur wird dieses „Hand anlegen“ ersetzen und die Positionierung scanbar machen. Ist die Datenerfassung erst einmal erfolgt, können Modelle direkt über den 3D-Drucker ausgegeben werden, was zusätzlich Zeit und Aufwand sparen wird.
Der 3D-Druck ist heute schon Bestandteil vieler Fertigungsprozesse. Jüngst erst wurden entscheidende Teile einer innovativen Nackenstütze für eine junge Patientin am PC modelliert und anschließend gedruckt. Die Stütze ermöglicht ihr deutlich mehr Bewegungsfreiheit und kann nach Bedarf problemlos nachjustiert werden. Überdies wurde in den Werkstätten ein Klickmechanismus konstruiert, dank dessen sie – etwa vor dem Duschen – unkompliziert abgenommen werden kann.
Langfristige Verbesserungen erzielen mit Einlagen und Maßschuhen
Auch in der Orthopädieschuhtechnik wird viel bewegt. Oft sind es die kleinen, unauffälligen Maßnahmen – gute Schuhe, perfekte Einlagen – die auf lange Sicht einen Unterschied machen. Eine unbehandelte Fußfehlstellung zum Beispiel kann zu Haltungsschäden und Gelenkbeschwerden an völlig anderen Körperstellen führen. Gerade bei Kinderfüßen lässt sich mit ihren weicheren Knochen besonders viel – im wahrsten Sinne des Wortes – (aus-)richten. Doch auch Erwachsene profitieren von einer solchen korrigierenden Maßnahme oft erheblich. Bei den Einlagen und Schuhen hat die Digitalisierung ebenfalls Einzug gehalten.
Für Einlagen werden Füße heute per 2D-Scan vermessen und von unseren Fachkräften für Orthopädieschuhtechnik lediglich verfeinert. Höhen, Härten, Kippstellungen und vieles mehr können aufs Feinste festgelegt und modelliert werden. Aus unzähligen Einzelteilen entstehen dann auf Basis der Vermessung innerhalb weniger Tage perfekt auf den einzelnen Fuß zugeschnittene Einlagen. Noch komplexer als Einlagen sind Maßschuhe. Nach einem ersten 3D-Scan wird zunächst ein Kunststoff-Probeschuh angefertigt. Dieser wird später direkt am Fuß noch einmal nachvermessen und perfektioniert.
Erst dann beginnt die eigentliche Schuhherstellung, die neben den aufwendigen Fußbetteinbauten zahllose weitere Fertigungsschritte beinhaltet, wie die Formung von klassischen Leisten, das Zuschneiden von Sohlen, das Vernähen von Lederstücken u.v.m. Zum Bereich der Orthopädieschuhtechnik gehört auch ein digitales Gang- und Schuhanalyse-System. In den Hessing Kliniken gibt es dafür eine gesonderte Laufstrecke. Das System ist aber grundsätzlich für den mobilen Einsatz konzipiert und wird zukünftig auch für Sportgruppen, Vereine oder Firmen zum Einsatz auf deren Anlagen zur Verfügung stehen
Nah am Kunden: In Göggingen, am Augsburger Königsplatz und in Friedberg
Der Absatz von Einlagen verlagert sich zusehends weg vom Stützpunkt der Maßarbeit in den Gögginger Kliniken hin zum Sanitätshaus am Königsplatz sowie ins Schuhhaus Kratzer & Hessing in Friedberg. An beiden Standorten sind Meisterinnen und Meister der Orthopädieschuhtechnik im Einsatz, die sowohl die Scans als auch die nötigen Feinabstimmungen vornehmen.
Termine können telefonisch oder über das Reservierungsportal doctolib.de vereinbart werden, sind allerdings keine zwingende Voraussetzung. Hürden abbauen auf allen Ebenen, das ist das Ziel der Maßarbeit für Orthopädie der Hessing Stiftung. Sei es, um sicher stehen, besser zu Fuß unterwegs sein zu können oder, um als Kundin oder Kunde eine orthopädische Maßnahme angehen zu können, ohne die gewohnten Abläufe unterbrechen zu müssen.
RONNY EGGER
LEITUNG HESSING MASSARBEIT FÜR ORTHOPÄDIE